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DE010-j

OLG Düsseldorf, 07.02.2022, 2 U 25/21

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Oberlandesgericht Düsseldorf, 2 U 25/21


Justiz N _W


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Datum:

07.02.2022

Gericht:

Oberlandesgericht Düsseldorf

Spruchkörper:

2. Zivilsenat

Entscheidungsart:

Urteil

Aktenzeichen:

2 U 25/21

ECLI:

ECLI:DE:OLGD:2022:0207.2U25.21.00

Vorinstanz:

Landgericht Düsseldorf, 4c O 75/20

Tenor:

I.         Auf die Berufung wird das am 15. Juli 2021 verkündete

Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert:

  • 1.        Die einstweilige Verfügung der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2020 (Az.: 4c O 75/20) wird aufgehoben.

  • 2.         Der auf ihren Erlass gerichtete Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

  • II.        Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt die Verfügungsklägerin.

  • III.         Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500.000,- € festgesetzt.

Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagten, bei denen es sich um                 2 Gesellschaften des Z.-Konzerns mit Hauptsitz in China handelt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel in Anspruch, ihnen das Betreiben gerichtlicher Verfahren insbesondere in China zu verbieten, in denen beantragt wird, der Verfügungsklägerin zu

untersagen, ihre Patentrechte in dem beim Landgericht Düsseldorf anhängigen Hauptsacheverfahren durchzusetzen („anti-suit-injunction“) oder etwaige in diesem Verfahren erstrittene gerichtliche Entscheidungen zu vollstrecken („anti-enforcement-injunction“), soweit nicht gewährleistet ist, dass ihr in einem solchen ausländischen Verfahren vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.

Mit der beim Landgericht Düsseldorf anhängigen Patentverletzungsklage (Az.: 4c O 50/20)      3

macht die Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagten Ansprüche wegen der Verletzung des deutschen Teils des nach ihrer Behauptung für den Standard H.265/MPEG-H High Efficiency Video Coding (HEVC) essenziellen Patents EP 2 XXX 468 (nachfolgend: EP ‘468) geltend.

Ein Hauptsacheverfahren der Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin zur 4 Bestimmung einer FRAND-Lizenz für die Nutzung des EP ‘468 in einer Jurisdiktion, welche das Rechtsinstitut der anti-suit-injunction oder der anti-enforcement-injunction kennt, etwa in China, ist nicht anhängig. Die Verfügungsbeklagten haben auch keinen Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction oder einer anti-enforcement-injunction gegen die Verfügungsklägerin in China oder einem anderen Land gestellt.

Mit Schriftsatz vom 11.12.2020 beantragte die Verfügungsklägerin den Erlass einer             5 einstweiligen Verfügung, die das Landgericht am 14.12.2020 antragsgemäß im Beschlusswege erließ.

Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten hielt das Landgericht die einstweilige 6 Verfügung durch Urteil vom 15.07.2021 in einer gegenüber der Beschlussverfügung modifizierten Fassung aufrecht. Der Tenor der einstweiligen Verfügung lautet in der Fassung des Urteils wie folgt:

Den Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung, …, untersagt, 7

in der Volksrepublik China gerichtliche Verfahren einzuleiten und/oder fortzuführen, in denen 8 beantragt wird, der Verfügungsklägerin zu untersagen,

  • a)    ihre Patentrechte in der Bundesrepublik Deutschland gerichtlich gegen die 9 Verfügungsbeklagten durchzusetzen, in dem vor der Kammer anhängigen Hauptsacheverfahren unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 4c O 50/20,

  • b)    etwaige gerichtliche Entscheidungen, die von der Verfügungsklägerin in den unter 10

  • I.1.a) genannten Verfahren erstritten werden, gegen die Verfügungsbeklagten zu vollstrecken,

wenn nicht gewährleistet ist, dass der Verfügungsklägerin in einem solchen Verfahren vor 11 einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.“

Hiergegen wenden sich die Verfügungsbeklagten mit ihrer Berufung.                         12

Von einer weitergehenden Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a    13 Abs. 1 S. 1, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.

  • II.

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten hat Erfolg. Die einstweilige Verfügung ist 14 aufzuheben, weil der auf ihren Erlass gerichtete Antrag unzulässig ist. 1.                                                                                                        15

Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass der von der Verfügungsklägerin 16 begehrten einstweiligen Verfügung.

Der Senat schließt sich der Auffassung der Münchener Gerichte, die eine auf Untersagung 17 der Beantragung einer anti-suit-injunction gerichtete einstweilige Verfügung („anti-anti-suit-injunction“) für möglich halten [dazu unter a)], im Grundsatz an. Dies gilt allerdings mit der Maßgabe, dass es sich sowohl bei der grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Verfügung als auch bei der Bestimmung ihrer sachlichen Grenzen um Fragen des Rechtsschutzbedürfnisses handelt und dass eine anti-anti-suit-injunction nur dort, nur dann und nur in demjenigen Umfang in Betracht kommen kann, wie dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes des Patentinhabers vor deutschen Gerichten objektiv notwendig ist [dazu unter b)]. Eine solche Notwendigkeit ist im hier zu entscheidenden Fall zu verneinen, in dem es keinen Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction und auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für eine dahingehende Absicht der Verfügungsbeklagten gibt und in dem nicht einmal ein Hauptsacheverfahren der Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin anhängig ist, zu dessen Schutz eine anti-suit-injunction sinnvoll sein könnte [dazu unter c)].

  • a)                                                                                               18

Das OLG München (Urt. v. 12.12.2019, Az.: 6 U 5042/19, GRUR 2020, 379) sowie das LG 19 München I (Urt. v. 02.10.2019, Az.: 21 O 9333/19, BeckRS 2019, 25536; Urt. v. 25.02.2021, Az.: 7 O 14276/20, GRUR-RS 2021, 3995; Urt. v. 24.06.2021, Az.: 7 O 36/21, GRUR-RS 2021, 17662) haben in dem Betreiben eines anti-suit-injunction-Verfahrens einen rechtswidrigen Eingriff in die eigentumsgleichen Rechte des von dem ausländischen Prozessführungsverbot betroffenen Inhabers eines standardessentiellen Patents (nachfolgend: SEP) gesehen und zu dessen Gunsten, gestützt auf §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs.

  • 1    BGB, eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Verfügungsbeklagten verboten wird, in einer anderen Jurisdiktion (in den dort entschiedenen Fällen USA bzw. China) um eine anti-suit-injunction nachzusuchen oder, falls ein derartiges Verfahren bereits eingeleitet ist, dieses weiter zu betreiben.

Unter welchen Voraussetzungen eine derartige anti-anti-suit-injunction ergehen kann, wenn 20 der Verfügungsbeklagte noch nicht um den Erlass einer anti-suit-injunction nachgesucht hat, erörtert insbesondere das LG München I und verortet die betreffende Frage bei der für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch notwendigen Erstbegehungsgefahr (GRUR-RS 2021, 3995 Rz. 89 ff., wobei dort die Erstbegehungsgefahr im Rahmen des Verfügungsgrundes als für den Beginn der Dringlichkeitsfrist maßgeblicher Zeitpunkt diskutiert wird; GRUR-RS 2021, 17662 Rz. 33 ff.). In dem vom OLG München entschiedenen Fall existierte bereits ein in den USA gestellter (wenn auch später unter Vorbehalt zurückgenommener) Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction, weshalb die Frage dort nur knapp, allerdings ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr angesprochen wird (GRUR 2020, 379 Rz. 56).

Das LG München I führt aus, dass die bisherige Rechtsprechung zur Begründung einer 21 Erstbegehungsgefahr im Kontext der Gefahr einer Beantragung und des Erlasses eines weltweiten Klageverbots weiterzuentwickeln sei. Die Annahme einer Erstbegehungsgefahr setze nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass sich der Anspruchsgegner in naher Zukunft

rechtswidrig verhalten werde. Dem könne für den Fall drohender anti-suit-injunctions, insbesondere wenn sie ohne Bezug zu einer gerichtlichen Maßnahme des Patentinhabers erlassen würden, nicht in vollem Umfang beigetreten werden. Schließlich zeichneten sich FRAND-Sachverhalte durch ganz besondere Umstände aus, die eine anderweitige Beurteilung der Erstbegehungsgefahr, konkret deren maßvolle zeitliche Vorverlagerung zu Gunsten des Patentinhabers, rechtfertigten. Von dem Benutzer eines SEP könne deshalb gefordert werden, dass er nach Erhalt des Verletzungshinweises nicht nur seine qualifizierte Lizenzbereitschaft unter Beweis stelle, sondern sich darüber hinaus auch verbindlich dazu erkläre, dass er gegen den Patentinhaber keine anti-suit-injunction beantragen werde. Habe der Patentbenutzer nicht innerhalb der ihm vom Patentinhaber gesetzten kurzen Frist in Textform zugesagt, keinen Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction zu stellen, sei eine Erstbegehungsgefahr gegeben. Die besagte Konstellation repräsentiere eine Fallgruppe, die nach der Art eines Regelbeispiels zukünftig regelmäßig die Annahme einer Erstbegehungsgefahr und damit den Erlass einer vorgreifenden anti-anti-suit-injunction rechtfertige (GRUR-RS 2021, 3995 Rz. 90 ff.; GRUR-RS 2021, 17662 Rz. 34 ff., siehe dort jeweils auch zu den weiteren vom LG München I entwickelten Fallgruppen der Erstbegehungsgefahr).

Nicht ganz eindeutig ist, ob nach der Rechtsprechung des LG München I der ausländische Hauptsacheprozess um die FRAND-Lizenz anhängig sein muss oder ob selbst darauf verzichtet werden kann. Zwar setzen die vom LG München I angenommenen Fallgruppen einer Erstbegehungsgefahr – insbesondere diejenige einer fehlenden „Verzichts“-Erklärung des Patentbenutzers – ein Hauptsacheverfahren nicht notwendigerweise voraus; dennoch spielt die im (potenziellen) Erlassstaat einer anti-suit-injunction anhängige Hauptsacheklage in der Herleitung einer vorverlagerten Erstbegehungsgefahr eine maßgebliche Rolle. Da sämtliche Fallgruppen auf Handlungen des Patentbenutzers abstellen, habe dieser es selbst in der Hand, eine Erstbegehungsgefahr gar nicht erst aufkommen zu lassen bzw. wieder zu beseitigen. Dies zu tun, könne von ihm auch erwartet werden, denn die bislang bekannt gewordenen Anträge auf Erlass einer anti-suit-injunction seien damit begründet worden, dass eine im Erlassstaat anhängige Hauptsacheklage zu schützen sei. Derartigen Hauptsacheklagen – gerichtet auf den Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrages oder einer abstrakten Feststellung von FRAND-Lizenzkonditionen – sei die Argumentation gemein, der Patentbenutzer sei lizenzwillig. Wenn dies zutreffe, werde sich der Patentbenutzer auch eines Antrages auf Erlass einer anti-suit-injunction enthalten, was er gegenüber dem Patentinhaber zu versichern habe. Verweigere er dies, sei die Annahme einer Erstbegehungsgefahr für ein lizenzwidriges Verhalten begründet (GRUR-RS 2021, 3995 Rz. 94; GRUR-RS 2021, 17662 Rz. 37).

Ob angesichts dieser Begründungserwägungen eine Vorverlagerung der Erstbegehungsgefahr auch dann anzunehmen ist, wenn es zum Zeitpunkt des Antrages auf Erlass einer anti-anti-suit-injunction noch keine (zu schützende) Hauptsacheklage um eine FRAND-Lizenz gibt, stand bislang nicht zur Diskussion, weil in den genannten Entscheidungen jeweils ein Hauptsacheverfahren tatsächlich anhängig war. Erlaubt es das ausländische Verfahrensrecht, den anti-suit-injunction-Antrag zeitgleich mit der Hauptsacheklage zu erheben, würde es allerdings in der Konsequenz der bisherigen Rechtsprechung liegen, auch ohne im Ausland bereits anhängige Hauptsacheklage eine anti-anti-suit-injunction zuzulassen.

  • b)

    22

    23

    24

Der Senat stimmt der grundsätzlichen Annahme zu, dass das Betreiben eines auf Erlass einer anti-suit-injunction gerichteten Verfahrens einen Eingriff in die absolut und sogar verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Patentinhabers darstellt und hiergegen Rechtsschutz zu gewähren ist. Sowohl bei der grundsätzlichen Zulässigkeit einer gegen ein ausländisches Prozessführungsverbot gerichteten einstweiligen Verfügung (anti-anti-suitinjunction) als auch bei der Bestimmung der sachlichen Grenzen einer solchen Gegenmaßnahme handelt es sich allerdings nicht um Fragen des materiellen Rechts, sondern um die Frage nach dem Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses. In diesem Sinne hat bereits das OLG München (GRUR 2020, 379 Rz. 59; anders LG München I, BeckRS 2019, 25536 Rz. 71 ff.) zutreffend betont, dass eine anti-anti-suit-injunction ein dem deutschen Recht an sich fremdes Prozessführungsverbot darstellt, für dessen Verhängung es prinzipiell bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Es ist allerdings (ausnahmsweise) dann zu bejahen, wenn das mit einer anti-suit-injunction zu Lasten des Patentinhabers verhängte Prozessführungsverbot rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht und deshalb nicht hinnehmbar ist. Verfassungsrechtliche Gründe erlauben und gebieten hier eine anti-anti-suit-injunction, allerdings nur dort, nur dann und nur insoweit, wie dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für den Patentinhaber objektiv notwendig ist. Bei rein vorbeugenden Anträgen ist solches jedenfalls im Allgemeinen nicht der Fall.

Im Einzelnen:

aa)

Der Erlass einer anti-anti-suit-injunction ist – im Rahmen ihrer unter bb) zu erörternden 28 Grenzen – aus verfassungsrechtlichen Gründen gerechtfertigt und geboten.

Im Ausgangspunkt steht es von Verfassungs wegen jedermann frei, für sein Anliegen 30 gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und fehlt es deshalb einem Antrag seines Gegners, derartiges zu untersagen (Prozessführungsverbot), schon am Rechtsschutzbedürfnis.

  • (a)                                                                                                       31

Dies gilt für innerdeutsche Sachverhalte grundsätzlich ohne Ausnahmen.                     32

Es ist anerkannt, dass die ungehinderte Durchführung staatlich geregelter Verfahren im 33 Interesse der daran Beteiligten, aber auch im öffentlichen Interesse nicht mehr als unbedingt notwendig behindert werden soll (BGH, GRUR 2013, 305, 306 – Honorarkürzung). Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen ist privilegiert, das heißt die Rechtsverteidigung auch gegen unberechtigte Ansprüche hat in dem anhängigen Verfahren selbst, das gleichzeitig eine hinreichende Sicherung für den Angegriffenen darstellt, zu erfolgen (Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., Vorb. zu §§ 14–19d Rz. 418). Die gerichtliche Prüfung eines auch nur vermeintlich bestehenden Anspruchs kann nicht unterbunden werden (BGH, GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung) und gerichtlich angeordnete Prozessführungsverbote sind deswegen grundsätzlich mit deutschem Recht nicht zu vereinbaren (vgl. auch Schroeder, EuZW 2004, 468, 470; Becker, EWiR 2009, 265, 266). Ein rechtsstaatlich ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren ist nur gewährleistet, wenn die Beteiligten ohne jede Beschränkung dem Gericht alle nach ihrer Ansicht für die Beurteilung notwendigen Fakten unterbreiten und die nach der Prozesslage notwendigen Anträge stellen können (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.01.1996, Az.: 3 VA

11/95, BeckRS 1996, 940).

Vor diesem Hintergrund wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa Klagen, 34 die auf die Unterlassung oder Beseitigung von Äußerungen gerichtet sind, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen (BGH, GRUR 1998, 587, 589 – Bilanzanalyse Pro 7; GRUR 2010, 253, 254 – Fischdosendeckel; GRUR 2013, 305, 306 – Honorarkürzung; GRUR 2013, 647, 648 – Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auf den Ablauf eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens nicht dadurch Einfluss genommen und seinem Ergebnis nicht dadurch vorgegriffen werden soll, dass ein an diesem Verfahren Beteiligter durch Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche in seiner Äußerungsfreiheit eingeengt wird (BGH, GRUR 2010, 253, 254 – Fischdosendeckel; GRUR 2013, 305, 306 – Honorarkürzung; GRUR 2013, 647, 648 – Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss). Die Relevanz des Vorbringens soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geklärt werden (BGH, GRUR 2010, 253, 254 – Fischdosendeckel; GRUR 2013, 305, 306 – Honorarkürzung; GRUR 2013, 647, 648 – Rechtsmissbräuchlicher Zuschlagsbeschluss). Die einzige Folge, die mit einer ungerechtfertigten Rechtsverfolgung verbunden sein kann, ist grundsätzlich die der kostenpflichtigen Klageabweisung.

  • (b)                                                                                                  35

Auch innerhalb der Europäischen Union sind Prozessführungsverbote unzulässig. Sie sind 36 mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der dem Brüsseler Abkommen zugrunde liegt, unvereinbar (EuGH, EuZW 2004, 468, 469 – Turner/Grovit u.a.; NJW 2009, 1655, 1656 – Allianz SpA ./. West Tankers Inc.; Urt. v. 13.05.2015, Az.: C-536/13, Rz. 13 bei juris; MüKoZPO-Gottwald, 6. Aufl., Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 28; Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Vorbem. zu Art. 4 Rz. 50; Becker, EWiR 2009, 265, 266).

  • (c)                                                                                                  37

Mit Blick auf eine Prozessführung, die im außereuropäischen Raum verboten werden soll, 38 mag es als Ausdruck unseres Rechtsstaatsprinzips verstanden werden, den Zugang zu staatlichen Gerichten ganz generell (im Inland wie im Ausland) für niemanden zu limitieren.

Ob davon eine Rechtsverfolgung auszunehmen ist, die in einem nicht rechtsstaatlichen Verfahren erfolgt, und für solche Fälle – ausnahmsweise – ein beachtenswertes Interesse an der gerichtlichen Durchsetzung zu verneinen ist, kann dahinstehen. Eine bestimmte Maßnahme (wie der Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction) verdient jedenfalls nicht allein deshalb den Stempel mangelnder Rechtsstaatlichkeit, weil sie dem deutschen und/oder dem europäischen Recht fremd ist.

  • (2)                                                                                                  39

Im Zusammenhang mit einem SEP-Prozess geht es allerdings nicht darum, dem              40 Patentverletzer die Anrufung seiner Heimatgerichte zur Entscheidung über die FRAND-Lizenzierung zu verbieten. Gegenstand der Schutzanordnung des deutschen Gerichts ist nicht die ausländische Lizenzierungsklage des Verletzungsbeklagten, sondern einzig das begleitend hierzu ergangene Prozessführungsverbot für den SEP-Inhaber, die anti-suitinjunction. Ein solches Verbot kann schon deshalb nicht hingenommen werden, weil unter Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten nicht nur der Verletzungsbeklagte freien Zugang zu den von ihm gewählten Gerichten haben muss, sondern das gleiche Recht selbstverständlich auch dem SEP-Inhaber zusteht, der dementsprechend institutionellen Schutz für seine

Prozessführung im Inland beanspruchen kann (vgl. Art. 47 EU-Grundrechte-Charta). Das gilt über rechtsstaatliche Überlegungen hinaus umso mehr, als erteilte Patente den uneingeschränkten Eigentumsschutz des Grundgesetzes (BVerfG, Beschl. v. 15.01.1974, Az.: 1 BvL 5/70, BeckRS 1974, 104366 Rz. 21; Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl., Art. 14 Rz. 24) und der EU-Charta (vgl. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta; dazu auch von der Groeben/Schwarze/ Hatje-Wollenschläger, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., Art. 17 GRC Rz. 39) genießen und es geradezu zum Kernbestand der Eigentumsgarantie gehört, dass der Schutzrechtsinhaber seine Verbietungsrechte aus dem Patent wirksam gegen Dritte durchsetzen kann. Denn gerade in ihnen verkörpert sich der eigentliche Wert des mit der Patenterteilung verbundenen Monopolrechts. Dem staatlich zu gewährenden

Eigentumsschutz ist insofern eine justizielle Komponente immanent, die verlangt, dass ein Rechtsgewährungssystem bereitgestellt wird, das dem Inhaber (oder dem sonstigen Berechtigten) dank seiner personellen und sachlichen Ausstattung, durch sein Regelwerk sowie dessen Anwendung durch die Gerichte eine effektive Patentdurchsetzung garantiert. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz verlangen dabei auch eine Abwehr äußerer Eingriffe in den Patentverletzungsprozess. bb)                                                                                             41

Dass im Grundsatz ein Rechtsschutzbedürfnis für das Begehren des Patentinhabers 42 anzuerkennen ist, dem Patentbenutzer das Betreiben eines auf den Erlass einer anti-suitinjunction gerichteten Verfahrens zu untersagen, bedeutet allerdings nicht, dass ein Rechtsschutzbedürfnis schrankenlos zu bejahen wäre. Um aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Eigentumsschutzes gerechtfertigt zu sein, muss der Erlass einer anti-anti-suit-injunction vielmehr zur Gewährung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes zugunsten des Patentinhabers objektiv notwendig sein.

  • (1)                                                                                                  43

Hierbei ist im Ausgangspunkt zu bedenken, dass die Schutzanordnung, sollte sie mit 44 Rücksicht auf den erfolgten Erlass einer anti-suit-injunction erforderlich werden, vom Patentinhaber im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – und mithin ganz kurzfristig, erforderlichenfalls sogar im Beschlusswege – erwirkt werden kann. Für die Beantwortung der Frage, ob eine der anti-suit-injunction nachlaufende Schutzanordnung die Interessen des SEP-Inhabers hinreichend schützt oder ob es zur Abwendung unangemessener Nachteile für den SEP-Inhaber verfassungsrechtlich geboten ist, bereits im Vorfeld einer anti-suit-injunction einzuschreiten, sind zwei mögliche Geschehensabläufe in Rechnung zu stellen:

  • (a)                                                                                                  45

Es kann sein, dass das injunction-Gericht die zu seiner eigenen anti-suit-injunction              46 gegenläufige gerichtliche Anordnung zum Schutz des Patentverletzungsprozesses akzeptiert und sich ihr beugt, indem es ihretwegen von Sanktionen gegen den den Verletzungsprozess weiterbetreibenden SEP-Inhaber absieht. Hier bedarf es keines auf Mutmaßungen gestützten, vorauseilenden Schutzverbotes, weil eine den SEP-Inhaber bei seiner Rechtsverfolgung ausreichend sichernde Schutzanordnung auch im Nachgang zu einer erlassenen anti-suit-injunction rechtzeitig genug ergehen kann.

  • (b)                                                                                                  47

Lässt sich das injunction-Gericht durch eine – aus seiner Sicht ausländische –                 48

Schutzanordnung nicht von einer Sanktionierung von Verstößen gegen sein

Prozessführungsverbot abhalten, hat der SEP-Inhaber auf erste Sicht ebenfalls nichts damit gewonnen, dass ihm bereits im Vorgriff auf eine bloß befürchtete anti-suit-injunction eine Schutzverfügung gewährt wird. Denn über sie wird sich das injunction-Gericht genauso hinwegsetzen wie über eine solche Schutzverfügung, die erst im Anschluss an eine anti-suitinjunction ergeht und auf die das injunction-Gericht (auf Antrag des Verletzers) eine anti-anti-anti-suit-injunction-Anordnung trifft und, gestützt hierauf, die Fortführung des Verletzungsprozesses – trotz zwischenzeitlich ergangener anti-anti-suit-injunction – sanktioniert. Sofern das Prozessführungsverbot antragsgebunden ist, vermittelt eine vorauseilende Schutzanordnung allerdings insoweit einen Schutz für den Patentinhaber, als eine verbotswidrige Antragstellung die Möglichkeit einer Ahndung mit den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO ermöglicht. Unabhängig davon, ob sich dadurch jeder Verletzungsbeklagte tatsächlich von einem anti-suit-injunction-Antrag abhalten lässt, kann der Strafbewehrung jedenfalls im Vorhinein nicht die Eignung abgesprochen werden, auf den

Verletzungsbeklagten einzuwirken, womit die vorauseilende Schutzanordnung – unter den diskutierten besonderen Umständen – als prinzipiell geeignet angesehen werden muss, die ungestörte Durchführung des Patentverletzungsprozesses sicherzustellen.

Obwohl dem so ist, darf bei diesen, einseitig allein die Belange des Patentinhabers            49 reflektierenden Erwägungen nicht stehen geblieben werden. Es muss vielmehr im Blick behalten werden, dass angesichts der Vielzahl der aus standardessentiellen Patenten geführten Auseinandersetzungen die Beantragung und der Erlass einer anti-suit-injunction den seltenen Ausnahmefall bildet. Dieser Befund verbietet es, eine Schutzanordnung ohne das Vorliegen stichhaltiger Anhaltspunkte allein wegen der für den Verletzungsbeklagten rein abstrakt gegebenen Möglichkeit, sich ihrer zu bedienen, zu erlassen. Denn es ist ebenso Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, dass in die Rechte eines anderen (hier: der Verfügungsbeklagten) nur dann eingegriffen werden darf, wenn hierzu ein die staatliche Intervention rechtfertigender Anlass besteht. Und dieser Anlass setzt eine Sachlage voraus, die in einer Gesamtabwägung aller Umstände den hinreichend sicheren Schluss erlaubt, dass demnächst ernstlich mit dem Antrag auf ein den Patentverletzungsprozess störendes Verbot zu rechnen ist. Anderenfalls würde wahllos in die Rechtsstellung unbestimmter Patentbenutzer eingegriffen, was offensichtlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht. Unter seiner Geltung bedarf es vielmehr eines gerechten Ausgleichs zwischen dem berechtigten Anliegen des SEP-Inhabers, den Patentverletzungsprozess ungestört fortsetzen zu können, und dem gegenläufigen Interesse des Verletzungsbeklagten, nicht ohne hinreichenden Anlass auf der Grundlage bloß unterstellender Vermutungen mit einer Schutzanordnung belastet zu werden.

Greifbare Anhaltspunkte für die Gefahr einer anti-suit-injunction abzuwarten, ist für den SEP- 50 Inhaber umso eher hinnehmbar, als jeder Benutzer eines SEP, der ein Prozessführungsverbot gegen den SEP-Inhaber erwirkt, welches diesem die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsschutzes hiergegen am Ort der Verletzungsklage abschneidet, als offensichtlich lizenzunwillig anzusehen ist mit der Folge, dass er ohne weiteres zur Unterlassung zu verurteilen ist. Ein Verletzungsbeklagter, der den besagten Weg beschreitet, nimmt daher ein erhebliches Prozessrisiko auf sich, das er vernünftigerweise im Vorhinein sorgfältig abwägen wird. Es mag sein, dass SEP-Inhaber, die geschäftlich in China tätig sind, dort mit Sanktionen zu rechnen haben, die es ihnen aus Gründen der wirtschaftlichen Vernunft unmöglich machen, den deutschen Verletzungsprozess fortzuführen, so dass sich der mit der Durchsetzung des ausländischen Prozessführungsverbots durch den Verletzungsbeklagten verbundene Mangel an Lizenzbereitschaft nicht zu ihren Gunsten auswirken kann. Der dem SEP-Inhaber zur Verfügung gestellte Rechtsschutz mag im Hinblick darauf als unzulänglich betrachtet werden. Die besagten Unzulänglichkeiten haben jedoch nichts mit der Frage zu tun, ob vorauseilend oder nachlaufend gegen ein ausländisches Prozessführungsverbot eingeschritten werden kann, sondern sind schlicht Folge der sich aus der chinesischen Spruchpraxis ergebenden Realitäten.

  • (2)                                                                                                       51

Vor diesem Hintergrund ist eine objektive Notwendigkeit für eine rein vorbeugend beantragte 52 anti-anti-suit-injunction nicht zu erkennen, wenn es an einer bereits beantragten anti-suitinjunction oder konkreten Anhaltspunkten für ein dahingehendes Vorhaben des Patentbenutzers – etwa in Form einer ernstzunehmenden Androhung – fehlt und wenn zwischen den Parteien nicht einmal ein Hauptsacheverfahren in einer Jurisdiktion anhängig ist, die das Rechtsinstitut der anti-suit-injunction vorsieht. Dem Patentinhaber kann und muss unter Berücksichtigung der unter (1) dargestellten Erwägungen in einem solchen Fall zugemutet werden, das weitere Verhalten des Patentbenutzers abzuwarten.

Entgegen der Auffassung des LG München I ist von dem Benutzer eines SEP nach Erhalt 53 des Verletzungshinweises auch nicht zu fordern, dass er nicht nur seine Lizenzbereitschaft erklärt, sondern dem SEP-Inhaber auch versichert, dass er keine anti-suit-injunction beantragen wird. Ob und unter welchen genauen Voraussetzungen bei der Beurteilung der objektiven Notwendigkeit einer anti-anti-suit-injunction die fehlende Beantwortung etwaiger Anfragen berücksichtigt werden kann, weil den SEP-Benutzer bestimmte Erklärungspflichten (oder -obliegenheiten) treffen, bedarf vorliegend keiner grundlegenden Entscheidung. Es kann von dem SEP-Benutzer und etwaigen Lizenzsucher jedenfalls nicht gefordert werden, sich anlasslos gegenüber einer bloß unterstellenden Anfrage darüber zu erklären, ob er bereit ist, auf Anträge auf eine anti-suit-injunction während der Dauer des Verletzungsprozesses zu verzichten. Sollte man von einem Lizenzsucher überhaupt die Beantwortung derartiger Anfragen fordern, müssten sich mindestens konkrete und belastbare Hinweise für dessen Absicht feststellen lassen, von dem Mittel der anti-suit-injunction alsbald Gebrauch zu machen. Allein aus der rechtlichen Möglichkeit solcher Anträge in manchen Jurisdiktionen der Welt kann nicht abgeleitet werden, der Lizenzsucher werde hierauf auch zurückgreifen.

  • c)                                                                                               54

Im zu entscheidenden Fall fehlt es an der objektiven Notwendigkeit für den Erlass einer anti- 55 anti-suit-injunction und damit an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Es handelt sich um ein unabhängig von konkreten Anhaltspunkten für den Erlass oder auch 56 nur einen entsprechenden Antrag der Verfügungsbeklagten rein vorbeugend geltend gemachtes Begehren der Verfügungsklägerin, dessen es zur Sicherstellung effektiven Rechtsschutzes nicht bedarf.

aa)                                                                                     57

So fehlt es nicht nur an einem erlassenen oder auch nur beantragten Prozessführungsverbot. 58 Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verfügungsbeklagten die Beantragung einer anti-suit-injunction gegen die Verfügungsklägerin beabsichtigen.

Schließlich gibt es nicht einmal ein Hauptsacheverfahren, zu dessen Schutz ein solches Mittel sinnvoll und hilfreich sein könnte. Ohne ein solches lässt sich im Übrigen nicht feststellen, warum – wie vom Landgericht angenommen – ausgerechnet China diejenige Jurisdiktion sein sollte, in welcher die Verfügungsbeklagten zu dem Mittel der anti-suitinjunction greifen könnten.

An dieser Einschätzung ändert nichts, dass konzernverbundene Gesellschaften der Verfügungsbeklagten in einem einzigen Fall (Entscheidung des Mittleren Volksgerichtshofs der Provinz Hunan, […], Anlage ES 4) den Erlass einer anti-suit-injunction in China mit Erfolg beantragt haben. Dabei kommt es weder auf die Ausführungen der Verfügungsbeklagten zu dem vorhergehenden, vermeintlich unlauteren Verhalten von I. an noch auf das Vorbringen der Verfügungsklägerin zu der zentralen Steuerung derartiger Entscheidungen innerhalb eines Konzerns. Maßgeblich ist, dass dem dortigen Antrag ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde lag. So war bereits eine Hauptsacheklage der dortigen Antragsteller (von den Verfügungsbeklagten verschiedenen Gesellschaften des Z.-Konzerns) in China auf Bestimmung einer globalen FRAND-Rate anhängig, als die dortigen Antragsgegner (I.) in Indien eine einstweilige sowie eine unbefristete Unterlassungsverfügung gegen Z. wegen Patentverletzung beantragten (vgl. Anlage ES 4). Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagten im vorliegenden Fall – ohne vorherige Anhängigkeit einer derartigen Hauptsacheklage – den Erlass einer anti-suit-injunction gegen die Verfügungsklägerin beantragen wollen, werden dadurch nicht begründet.

Soweit das Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, die Unternehmensgruppe 60 der Verfügungsbeklagten habe bereits mehrfach auf das Rechtskonstrukt der anti-suitinjunction zurückgegriffen, um ihre Interessen in China umfassend zu schützen und andere ausländische Gerichtsverfahren dadurch zum Stillstand zu bringen (vgl. S. 18 des angegriffenen Urteils), ist dies nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung des britischen High Court of Justice vom 26.10.2020 (in englischer Sprache vorgelegt als Anlage ES 7), wird vom Landgericht dahingehend wiedergegeben, dass es durch diese Entscheidung Z. untersagt worden sei, den Erlass einer anti-suit-injunction zu beantragen (anti-anti-suit-injunction). Ausgangspunkt dieser Entscheidung sei unter anderem die anti-suit-injunction vom 23.10.2020 zugunsten von Z. gegen I. gewesen und aus dieser gefolgert worden, dass Z. die potenzielle Neigung habe, auch im dortigen (britischen) Verfahren einen solchen Antrag zu stellen.

Trotz der Abweichung im Datum der angesprochenen Entscheidung Z. ./. I. (23.10.2020 statt 61 23.09.2020), wird in dem britischen Urteil eindeutig ein- und derselbe Antrag von Z.-Konzerngesellschaften angesprochen, der bereits erörtert wurde und der auch vom Landgericht als erster Rückgriff des Z.-Konzerns auf das Rechtsinstitut der anti-suit-injunction gewertet wird. Der mehrfache Gebrauch dieses Mittels durch konzernverbundene Gesellschaften der Verfügungsbeklagten lässt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auf dieser Grundlage nicht feststellen.

bb)                                                                                         62

Ob ohne ein zuvor anhängiges Hauptsacheverfahren in China überhaupt mit Erfolg ein 63 Antrag auf Erlass einer anti-suit-injunction gestellt werden könnte bzw. sich solches mit dem im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden

Erkenntnismöglichkeiten hinreichend feststellen ließe, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.

Fest steht allerdings, dass es in den von den Parteien diskutierten Entscheidungen             64

chinesischer Gerichte ein Hauptsacheverfahren gab, zu dessen Schutz die anti-suit-injunction […] bzw. anti-enforcement injunction […] erlassen wurde. Dass dieses nicht bereits zuvor anhängig gewesen ist, sondern gleichzeitig mit dem Antrag auf Erlass einer anti-suitinjunction eingereicht wurde, behauptet die Verfügungsklägerin nur für den Fall O. ./. S. (vgl.

die Stellungnahme des Obersten Volksgerichts vom 23.04.2021, Anlage ES 19a). Der genaue zeitliche Ablauf, also etwa die Frage, ob vor Erlass der anti-suit-injunction die

Hauptsacheklage an die dortige Beklagte zugestellt worden war, lässt sich dem Vorbringen der Verfügungsklägerin nicht entnehmen. Solches ergibt sich auch nicht aus der überreichten Stellungnahme des Obersten Volksgerichts, die zudem nur eine kurze Zusammenfassung des Falles enthält.

cc)                                                                                             65

Dass die Verfügungsbeklagten die Beantragung einer anti-suit-injunction angedroht oder 66 sonst konkret in Aussicht gestellt haben, behauptet auch die Verfügungsklägerin nicht. Dem prozessualen Verhalten der Verfügungsbeklagten, das sich auf eine Verteidigung gegen den Antrag der Verfügungsklägerin und das Vertreten der Rechtsauffassung, zur Abgabe von Erklärungen nicht verpflichtet zu sein, beschränkt, lässt sich solches nicht entnehmen. Zwar haben die Verfügungsbeklagten auch nicht eindeutig erklärt, sie würden nicht von dem Mittel der anti-suit-injunction Gebrauch machen. Dies begründet aber keine für die objektive Notwendigkeit einer anti-anti-suit-injunction sprechenden Anhaltspunkte, weil sich die Verfügungsbeklagten nicht anlasslos auf eine – ohnehin nicht vorliegende – ausdrückliche Aufforderung der Verfügungsklägerin unter Fristsetzung oder auf die Anfrage des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung zu erklären hatten.

  • d)                                                                                          67

Für die von der Verfügungsklägerin begehrte Untersagung eines Antrages auf Erlass einer 68 anti-enforcement-injunction gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Ein solches Verbot ist darüber hinaus erst recht deshalb nicht objektiv notwendig, weil sich auf der Grundlage des Vorbringens der Verfügungsklägerin nicht feststellen lässt, dass in dem beim Landgericht Düsseldorf anhängigen Hauptsacheverfahren (Az.: 4c O 50/20) bereits ein Urteil ergangen ist, dessen Vollstreckung im Wege einer anti-enforcement-injunction untersagt werden könnte.

  • 2.                                                                                               69

Angesichts des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses kann offen bleiben, ob es der            70

Zulässigkeit des Antrages nicht schon entgegensteht, dass den Verfügungsbeklagten die Beantragung einer anti-suit-injunction oder anti-enforcement-injunction (nur) untersagt werden soll, „soweit nicht gewährleistet ist, dass der Verfügungsklägerin in einem solchen Verfahren vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird“.

  • a)                                                                                                   71

Es ist gänzlich unklar, ob die Verfügungsbeklagten überhaupt irgendeinen maßgeblichen 72 Einfluss dahingehend nehmen können, dass der Verfügungsklägerin vor einer anti-suitinjunction von Seiten des chinesischen Gerichts rechtliches Gehör gewährt wird, oder ob ihnen, sofern dem nicht so sein sollte, nicht unzulässigerweise gerichtlich etwas aufgegeben wird, was außerhalb ihres Einflussbereichs liegt. Auch die Verfügungsklägerin erklärt sich nicht dazu, auf welche Weise genau die Verfügungsbeklagten die Gewährung rechtlichen Gehörs in einem anti-suit-injunction-Verfahren gewährleisten könnten. Ein bloßes Antragsrecht wäre in diesem Zusammenhang nur dann relevant, wenn das chinesische Gericht dem Antrag von Rechts wegen entsprechen müsste oder wenn mindestens für den Regelfall zu erwarten wäre, dass das chinesische Gericht sein Ermessen in der Verfahrensführung regelmäßig dahingehend ausübt, dass es der Anregung des Antragstellers folgt. Zu beidem verhält sich das Antragsvorbringen nicht.

  • b)

Soweit die Verfügungsklägerin im Verhandlungstermin herausgestellt hat, dass es ihr mit dem 74 Verfügungsantrag darum gehe, durch die eingeforderte Stellungnahmefrist Kenntnis von einem anhängigen anti-suit-injunction-Antrag und dadurch wiederum Gelegenheit zu erhalten, ihrerseits vorgreifend um eine anti-anti-suit-injunction nachzusuchen, was ihr verwehrt wäre, wenn und sobald das ausländische Prozessführungsverbot erst einmal in der Welt ist, weil die anti-suit-injunction in China mit dem strafbewehrten Verbot gekoppelt sei bzw. sein könne, sich dagegen zur Wehr zu setzen, findet dieses Begehren in dem zur Entscheidung stehenden Verfügungsantrag keinen wirklichen Niederschlag. Richtigerweise hätte der Antrag dahin lauten müssen, dass den Verfügungsbeklagten untersagt wird, in China einen anti-suit-injunction-Antrag zu stellen, ohne der Verfügungsklägerin dies vorher (ggf. unter Beachtung einer bestimmten Frist) schriftlich anzuzeigen. Letztlich kommt es auf die Unzulänglichkeiten in der Antragsformulierung allerdings nicht an, weil ein dahingehendes Begehren in der Sache nicht zum Erfolg führen kann.

aa)                                                                                     75

Es trifft zu, dass es ohne den Erlass einer vorauseilenden anti-anti-suit-injunction eines 76 notwendigerweise nachträglichen Antrages auf Erlass einer Schutzanordnung gegen das ausländische Prozessführungsverbot bedarf und dass mit ihm in sanktionsfähiger Weise dem Verbot zuwidergehandelt wird, sich gegen die anti-suit-injunction zur Wehr zu setzen. Die wirtschaftliche Lage für den Patentinhaber ist indessen nicht dadurch eine grundsätzlich andere, dass er vor dem Erlass eines Prozessführungsverbots in den Besitz einer Schutzanordnung gelangt. Es bestehen nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich ein chinesisches Gericht durch den vorauseilenden Erlass einer anti-anti-suit-injunction in irgendeiner Weise von der Anordnung und Durchsetzung eines Prozessführungsverbots gegen den SEP-Inhaber abhalten lässt. Die Lebenserfahrung spricht vielmehr für das Gegenteil. Der SEP-Inhaber ist deswegen durch die vorauseilende Schutzanordnung eines deutschen Gerichts keineswegs davor gesichert, mit einem Prozessführungsverbot belegt zu werden. Wird eine anti-suit-injunction – wie behauptet – mit dem Verbot gekoppelt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, so liegt es in der Logik und Konsequenz einer solchen Maßnahme, dass die für einen Verstoß vorgesehene Sanktion im Falle einer vorauseilend erlassenen anti-anti-suit-injunction nicht einfach fallen gelassen wird, sondern an die dem Patentinhaber mit der nachlaufenden anti-suit-injunction auferlegte Pflicht geknüpft wird, den anti-anti-suit-injunction-Antrag zurückzunehmen. In dem einen wie in dem anderen Fall hat der Schutzrechtsinhaber mithin dieselben Nachteile (Sanktionen) zu gewärtigen, wenn er einem chinesischen Prozessführungsverbot in Deutschland rechtlich entgegentritt. In Anbetracht dieser wirtschaftlich völlig identischen Sanktionierungslage hat der SEP-Inhaber keinen Vorteil von einer vorweggenommenen Schutzanordnung und ist ihm deshalb zuzumuten, mit dem Antrag auf eine anti-anti-suit-injunction zu warten, bis ein Prozessführungsverbot gegen ihn tatsächlich in der Welt ist (oder ggf. greifbar bevorsteht).

bb)                                                                                     77

Wenn unterstellt wird, dass es trotz vorauseilender Schutzanordnung nur dann zu einem 78 Prozessführungsverbot mit den aufgezeigten Sanktionsfolgen kommen kann, wenn die Verfügungsbeklagten einen dahingehenden Antrag bei Gericht stellen, so unterliegen sie keinen (insbesondere mit Ordnungsmitteln bedrohten) Beschränkungen. Denn haben die Verfügungsbeklagten ihrer Anzeigepflicht genügt, so hindert sie die von der Verfügungsklägerin begehrte vorauseilende Schutzanordnung nicht, danach um eine sanktionsfähige anti-suit-injunction nachzusuchen.

Infolge der Anzeige erhält die Verfügungsklägerin allerdings die Möglichkeit, vor dem Erlass 79 der ihr angekündigten anti-suit-injunction um eine diesen Antrag untersagende Schutzanordnung nachzusuchen. Selbst wenn es der Verfügungsklägerin gelingt, die anti-anti-suit-injunction rechtzeitig genug zu erwirken, so dass das verbotswidrige Betreiben des Prozessführungsverbots eine mit Ordnungsmitteln zu sanktionierende Zuwiderhandlung darstellt, und selbst wenn die damit einhergehende Vollstreckungsaussicht die Verfügungsbeklagten von einem anti-suit-injunction-Antrag abhält, bleibt der bereits oben erörterte Gesichtspunkt zu beachten, dass auch das unter die Bedingung einer Anzeigepflicht gestellte Antragsverbot einen Eingriff in die Rechtssphäre der Verfügungsbeklagten repräsentiert, der einer ausreichenden Rechtfertigung bedarf. Auch dieser Eingriff darf nicht wahllos und willkürlich geschehen, sondern verlangt greifbare Anhaltspunkte dafür, dass von Seiten der Verfügungsbeklagten zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt die ernstzunehmende Gefahr für ein Prozessführungsverbot ausgeht. Ob solche Anhaltspunkte von geringerem Gewicht als diejenigen Umstände sein können, die ein sofortiges unbedingtes Antragsverbot erlauben, kann dahinstehen. Sie dürfen sich jedenfalls nicht in der Erwägung erschöpfen, dem Verletzungsbeklagten stehe die grundsätzliche Möglichkeit zu einem anti-suit-injunction-Antrag offen, wenn es – wie im Streitfall – keine aussagekräftigen weitergehenden Hinweise dafür gibt, dass er sich dieser Möglichkeit in absehbarer Zeit auch tatsächlich bedienen wird.

III.                                                                                                                          80

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.                                     81

Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das vorliegende 82 Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinem Rechtsmittel mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) und ohne besonderen Ausspruch endgültig vollstreckbar ist.

Justiz N _W

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